Zur Entwicklung der Inflation

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) strafft die Geldpolitik und erhöht den Leitzins auf -0.25%, um dem gestiegenen inflationären Druck entgegenzuwirken. Die straffere Geldpolitik soll verhindern, dass die Inflation in der Schweiz breiter auf Waren und Dienstleistungen übergreift.
Inflation ist in aller Munde. In einer Marktwirtschaft können sich die Preise von Waren und Dienstleistungen immer wieder ändern. Manche Produkte werden teurer, andere billiger. Steigen die Preise von Waren und Dienstleistungen allgemein, und nicht nur die Preise einzelner Produkte, so bezeichnet man dies als Inflation. Dann kann man heute mit hundert Franken nicht so viel kaufen wie noch vor einem Jahr. Anders gesagt: Durch Inflation sinkt mit der Zeit die Kaufkraft.
Wie wird die Inflation gemessen?
In der Schweiz misst der Landesindex der Konsumentenpreise (LIK, berechnet vom Bundesamt für Statistik) die Teuerung der Konsumgüter und Dienstleistungen. Der LIK zeigt, um wie viel die Konsumgüter gegenüber dem Vormonat, dem Vorjahr oder jedem anderen früheren Zeitpunkt teurer geworden sind. Er ist einer der wichtigsten und am häufigsten angewandten Wirtschaftsindikatoren und wird als allgemein anerkannte Orientierungshilfe in Politik und Wirtschaft herangezogen.
Häufig wird unter dem Begriff «Teuerung» (oder auch «Inflation») die Veränderung des Jahresdurchschnitts im Vergleich zum Vorjahr bezeichnet. Diese Prozentzahl beschreibt somit die Niveauveränderung der 12 Monate des aktuellen Jahres zu den 12 Monaten des vorangehenden Jahres. In der Schweiz lag die durchschnittliche Jahresteuerung bei Null.
Durchschnittliche Jahresteuerung in der Schweiz
- 2016: -0.4%
- 2017: 0.5%
- 2018: 0.9%
- 2019: 0.4%
- 2020: -0.7%
- 2021: 0.6%
Quelle: BFS, Landesindex der Konsumentenpreise (LIK)
In den USA sind dagegen zwei Messmethoden populär. Die eine heisst Konsumentenpreisinflation (Consumer Price Inflation CPI). Sie geht vom gleichen Warenkorb aus, egal, ob ein Produkt billiger oder teurer wird. Wenn also die Gallone Benzin anfangs 2021 etwa 2 Dollar kostet und derzeit 5 Dollar, ist diese eine Steigerung von 150%. Es bleibt nicht berücksichtigt, ob man deswegen mehr oder weniger vom entsprechenden Konsumgut erwirbt.
Die von den meisten Ökonomen und der Zentralbank am stärksten verfolgte Massgrösse ist die Personal Consumption Expenditures Inflation (PCE Inflation). Sie verfolgt das effektive Einkaufsverhalten und ist seit dem Jahr 2000 der entscheidende Inflationsmassstab für die Zentralbank und deren Zielformulierung. Er misst das effektive Kaufverhalten und berücksichtigt somit, dass sich das Konsumverhalten verändert, wenn sich die Preise ändern. Preise haben in der Marktwirtschaft eine wichtige Signalfunktion, und deshalb ist die PCE Inflation die von Ökonomen bevorzugte Grösse. Wenn sich beispielsweise Neu- und Occasionswagen aufgrund von Lieferkettenproblemen um 40% verteuern, wird der Kaufentscheid möglicherweise verzögert. Und wenn Weizenmehl um 20% steigt, Reis jedoch um 20% sinkt, ist häufig ein teilweiser Substitutionseffekt zu beobachten. Denn Preise dienen stets als Signal an die Konsumentinnen und Konsumenten. Der Kosten des effektiven Warenkorbs gegenüber dem Vorjahr wird mit der PCE Inflation gemessen. Sie steht im Vordergrund der Zentralbank-Politik.
Wie hoch ist die Inflation gegenwärtig in der Schweiz?
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) bemisst die aktuelle Inflation mit 2.9%. Rund ein Prozent davon ist auf höhere Energiepreise zurückzuführen. Ein weiteres Prozent lässt sich durch Lieferkettenprobleme begründen. Das heisst, dass die SNB mit ihrer Geldpolitik keinerlei Einfluss auf diese beiden exogenen Faktoren ausüben kann. Sie geht aber aufgrund der Signale aus der Wirtschaft davon aus, dass sich die Lieferkettenprobleme in der zweiten Jahreshälfte zurückbilden. Auch der Anstieg der Energiepreise wird sein Ende finden. Somit ist ein erheblicher Teil der gegenwärtigen Inflation von vorübergehender Natur.
Wie sieht die Inflationsprognose in der Schweiz aus?
In der geldpolitischen Lagebeurteilung vom 16. Juni geht die SNB davon aus, dass für das gesamte Jahr mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 2.8% gerechnet werden muss. Für die kommenden zwei Jahre liegt ihre Prognose bei 1.9% (2023) und 1.6% (2024). Dies sind Werte, die rund 0.8% höher liegen als in der geldpolitischen Lagebeurteilung der SNB vom 24. März 2022. Dennoch ist wichtig: Nach den Vorstellungen der SNB, welche eine Inflationsrate zwischen 0% und 2% anstrebt, ist die Rückkehr zur Preisniveaustabilität absehbar. Sie sieht sich deshalb nicht unter Druck, weitere geldpolitische Massnahmen zu ergreifen. Die Inflation dürfte von sich aus wieder zurückfallen.
Wieso ist in der Schweiz die Inflationsrate viel tiefer als in den USA?
Die Schweiz ist wesentlich energieeffizienter, sowohl in der industriellen Fertigung wie auch im Verkehr. Viel mehr Leute nutzen den öffentlichen Verkehr. In den USA hängen private Haushalte, Gewerbe und Industrie viel stärker von Energiepreisen ab. Wenn diese gegenüber dem Vorjahr steigen, zeigt sich dies unmittelbar in höheren Preisen. Hinzu kommt die Arbeitsmarktpolitik. Im amerikanischen Hire & Fire Prinzip kann man Leute rasch entlassen, z.B. kam es im März und April 2020 innert sechs Wochen zu mehr als 17 Millionen Entlassungen.
Erholt sich die Wirtschaft, sind diese Arbeitskräfte nur wieder mit höheren Löhnen einzustellen – sofern sie nicht einem anderen professionellen Erwerb nachgehen. Die Lohnsteigerungen in den USA liegen derzeit bei rund 5% gegenüber dem Vorjahr. Wenn sich Kapital (Zinsen), Material und Energie sowie Humankapital (Löhne) erhöhen, versucht der Unternehmer, seine Produkte und Dienstleistungen aufgrund der höheren Inputkosten zu höheren Preisen abzusetzen. In der Schweiz sind die Zinserhöhungen und Lohnsteigerungen moderat, weshalb der Preisdruck deutlich geringer ist.
Was ist eine «Greedflation»?
In der amerikanischen Wirtschaft ist die Rede von «Greedflation», d.h. einer Inflation, die durch die Gier («greed») der Firmen verursacht wird. Aufgrund der relativ robusten konjunkturellen Lage und der überschüssigen Haushaltsersparnisse versuchen die Unternehmen, erhöhte Preise am Markt durchzusetzen, die weit über ihren erhöhten Inputkosten liegen. Sie versuchen, die Margen auszuweiten.
Bei den Konsumgütern geht dies in den USA bereits nicht mehr so gut. Die Kerninflation bei den Konsumgütern ist seit vier Monaten rückläufig. Dagegen ist die Kerninflation bei den Dienstleistungen auf ein neues Rekordhoch gestiegen. Für vermietete Autos, Flugreisen und Hotels werden derzeit viel höhere Preise als 2019 verlangt.
Wie sieht die Federal Reserve die Inflation?
Die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) dominiert offensichtlich die weltweite Kommunikation zur Wirtschafts- und Inflationsentwicklung. Der Fed-Vorsitzende hat die Leitzinserhöhung um 75 Basispunkte auf 1.50% bis 1.75% damit begründet, dass es gegenwärtig in erster Linie darum gehe, glaubwürdig die Inflation zu bekämpfen: «The main thing is to get inflation down. … We need to see inflation coming down in a convincing way. That is what we need to see. Until we see that, we are going to keep going.» (Jerome Powell, 17. Mai 2022). Am Markt wird davon ausgegangen, dass die Leitzinsen auf rund 3.0% bis im Januar 2023 angehoben werden.
An ihrer letzten Sitzung hielt die Fed fest, dass sie von einer Media-Projektion von 4.3% bei der PCE Inflation für das Jahr 2022 ausgeht (und 2.7% für das Jahr 2023 und 2.3% für das Jahr 2024). Die Wachstumsprognosen für die Wirtschaft wurden von 2.8% im März an der letzten Sitzung auf 1.7% reduziert, ein deutlicher Rückgang gegenüber den 5.1% im geld- und fiskalpolitischen aufgeputschten Jahr 2021. Der Markt geht davon aus, dass die Leitzinsen in zwei und drei Jahren bereits wieder spürbar tiefer liegen werden als im Juni 2023.
Die Fed äussert sich nicht konkret, dafür der ehemalige stellvertretende Fed-Vorsitzende Alan Blinder, heute Wirtschaftsprofessor in Princeton. «Eines Tages, hoffentlich bald, werden sich die Lebensmittel- und Energiepreise abflachen und die Probleme in der Versorgungskette werden sich auflösen», schrieb Binder in einem kürzlich erschienenen Gastbeitrag im Wall Street Journal. Wenn das passiert, so Binder, «…wird die Inflation so schnell und dramatisch zurückgehen, wie sie gestiegen ist. Wir haben das schon einmal erlebt.»
Und wie steht es um die Inflation in der Eurozone?
Generell ist das europäische Wirtschaftssystem ausbalancierter. Das führt dazu, dass die geld- und fiskalpolitischen Ausschläge im Vergleich zu den USA in den letzten 20 Jahren stets geringer waren. Auch jetzt ist die Kerninflation in der Eurozone mit 3.8% deutlich geringer als die 6.0% (CPI Kerninflation) respektive 4.9% (PCE Kerninflation) in den USA. Deshalb ist auch das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale in Europa überschaubar, wohingegen der Arbeitsmarkt in den USA viel angespannter ist. Die Eigendynamik der Inflation in den USA ist grösser, und da können die Löhne schon zum Inflationstreiber werden. Aber wichtig bleibt, dass beiderorts die längerfristigen Inflationserwartungen gut verankert bleiben.
Die EZB hat die Zukäufe von Anleihen beendet und beginnt im Juli (+25 Basispunkte) sowie im September (wohl +50 Basispunkte) Leitzinserhöhungen. Die Zeiten von Null- und Negativzinsen sind damit jedenfalls vorbei und die Inflation wird entschlossen bekämpft. Ein positiver Effekt der Inflation darf aber auch nicht ausgeklammert werden: Die Schuldenquoten werden dadurch zurückgeführt.
Ist aufgrund kurzfristig erhöhter Inflation eine Rezession zu erwarten?
Ein typisches Zeichen für Wachstum ist, wenn es volle Auftragsbücher in der Industrie und viele offene Stellen im Gewerbe gibt. Das trifft auf die Schweiz, auf Europa und auf Nordamerika zu. Auch in Asien bleibt es schwierig, die offenen Stellen mit den verfügbaren Arbeitskräften zu besetzen.
Das nominelle Sozialprodukt nimmt derzeit global mit einer Wachstumsrate von 7% bis 9% zu. Das entspricht dem Umsatzwachstum einer durchschnittlichen Unternehmung. Zieht man davon die jeweilige Inflationsrate ab, kommt man auf ein reales Wachstum in der Grössenordnung von knapp 3%. Mit einem Wachstum von etwas mehr als 2% in Nordamerika, in der Eurozone wie auch in der Schweiz sieht es noch immer ganz ordentlich aus. Die SNB rechnet für dieses Jahr unverändert mit einem BIP-Wachstum von rund 2.5%.
Gewiss bleibt nicht auszuschliessen, dass sich die Preisdynamik noch verändern kann – je nach veränderter Wirtschaftslage. Doch die zusätzlichen Störungen der Lieferketten durch Luftraumsperrungen und blockierte Häfen vom Schwarzen Meer bis zu Shanghai kennen wir bereits. Eine weitere Eskalation wäre gewiss das vollständige Embargo der Energieausfuhren aus Russland nach Europa. Das könnte die Konjunkturaussichten belasten. Was wir gegenwärtig allerdings beobachten, geht Richtung Expansion: Aufgrund der Pandemie verlagerte sich der Konsum teilweise von Dienstleistungen hin zu Waren. Derzeit beobachten wir die Umkehrung dieser Verlagerung.
Die Weltwirtschaft ist resilienter geworden. Das haben die vergangenen zwei Jahren gezeigt – ob Pandemie, Russlands Krieg, die Störungen der Lieferketten oder die erhöhte Inflation. Mit widrigen Umständen kommt eine Marktwirtschaft stets zurecht. Wir bleiben da optimistisch und glauben daran, dass wir auch diese Krise bewältigen werden. In einer gesunden Marktwirtschaft ohne Angebotsschocks dürften auch wieder die disinflationären Kräfte (wie in den vergangenen zwei Jahrzehnten) an Kraft gewinnen.
Wenn Sie weitere Informationen zur Inflation wünschen, steht Ihnen Ihr persönlicher Finanzberater jederzeit gerne zur Verfügung.